De Filippis

 

De Filippis-Delfico

 

(Teramo, 1820)

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Stemma famiglia De Filippis-Delfico, Teramo, 1820

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Delfico

(Napoli, sec. XVIII)

(Teramo, sec. XV)

Stemma famiglia De Filippis, Napoli, sec.XVIII

Stemma famiglia Delfico, Teramo, sec.XV

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Historische Skepsis um 1800:  Melchiorre Delfico

di Gisela Schlüter

In: Historischer Pyrrhonismus. Herausgegeben von Carsten Zelle, zusammengestellt von Gisela Schlueter. Das achtzehnte Jahrhundert. Bd. 31/2, Copyright Wallstein Verlag, Göttingen 2007, pp. 213-233. (www.wallstein-verlag.de)

The 'Reflections on History, its Uncertainty and Uselessness' (1806/08) written by the Italian historian, economist, philosopher and politician Melchiorre Delfico (1744-1835) represent a late example of historical pyrrhonism. Taking up what Enlightenment philosophers and historians had written about progress and history as well as about the impasses of historiography and historical methodology, Delfico tries to reanimate historical scepticism. As he supports contemporary scientism and advocates natural science standards, his epistemology strictly denies the scientific status of history. Furthermore, according to Delfico, history has neither a political nor a moral lesson to give.

 

Avec ses 'Réflexions sur l'histoire, sur son incertitude et inutilité' (1806/08), the Italian Melchiorre Delfico (1744-1835), historien, économiste, philosophe et homme politique, se présente comme épigone du pyrrhonisme historique. Il s'inspire des théories qu'avaient proposées les 'philosophes', en renouant non seulement avec leurs théories du progrès, mais aussi avec leur scepticisme historique, leur critique de l'histoire et de l'historiographie et en reprenant leurs réflexions méthodologiques. L'épistémologie de Delfico, axée sur le scientisme contemporain et sur le modèle des sciences naturelles, refuse au discours historique le statut de science. L'histoire, selon Delfico, ne saurait même servir de 'magistra vitae'.

 

 

I. Um 1800

 

Als Melchiorre Delfico (1744-1835) 1806 seine skeptizistischen Pensieri su l'Istoria e sull'incertezza ed inutilità della medesima [Gedanken über die Geschichte, ihre Ungewissheit und Nutzlosigkeit] niederschrieb, war der Historische Pyrrhonismus, der fast hundert Jahre zuvor seinen Höhepunkt erreicht hatte, seit Jahrzehnten verblasst. Das humanistisch geprägte Ideal historischer Erudition war erodiert (1), und nicht zuletzt in Folge der crise pyrrhonienne hatte sich eine kritische Geschichtswissenschaft formiert. Die alte Gelehrtenrepublik hatte sich aufgelöst, ein neues Wissens- und Wissenschaftssystem differenzierte sich aus. Parallel dazu etablierte sich am Ende des 18. Jahrhunderts vor allem in Frankreich eine positivistisch-melioristische Wissenschaftsgeschichte, für die der Historische Pyrrhonismus allenfalls noch antiquarische Bedeutung haben konnte. Maßgebliche Repräsentanten der spätaufklärerischen Geschichtsphilosophie hatten diese in einer Weise ironisch demontiert (2), die man als späten Erfolg und rhetorischen Vollzug des Historischen Skeptizismus auffassen könnte.

Vor diesem komplexen Hintergrund und unter dem Eindruck der tiefgreifenden Modifikationen des Zeit- und Geschichtsbewusstseins, die die Französische Revolution ausgelöst hatte, entfaltete Delfico im Milieu der süditalienischen Spätaufklärung einen epigonalen Historischen Pyrrhonismus, um die Wissenschaftlichkeit der Geschichtsschreibung  in einem naturwissenschaftlich-positivistisch geprägten Wissenschaftssystem zu bestreiten: ein in vielem anachronistisches und problematisches Unterfangen.

 

 

II. Melchiorre Delfico, l'homme et l'œuvre

 

Melchiorre Delfico ist hierzulande bislang kaum Aufmerksamkeit geschenkt worden (3), obwohl sein Œuvre und sein praktisches Wirken für Geschichtswissenschaft und ästhetische Thorie auch hierzulande interessant sein könnten: für Letztere vor allem Delficos ästhetische Schrift Nuove ricerche sul bello (1818) (4), für Historiker neben seiner Schrift Pensieri su l'Istoria und neben seinen Studien über die Geschichte San Marinos (Memorie storiche della Repubblica di San Marino) und die römische Rechtsgeschichte sowie seinen späten Machiavelli-Kommentaren auch die politische Rolle, die Delfico aus der Distanz in der Parthenopäischen Republik gespielt hat, dann seine Karriere im bonapartistischen Regime und schließlich seine mögliche Teilnahme an der bonapartistischen Verschwörung im Mai 1814, die Napoleon als Herrscher über ganz Italien inthronisieren sollte (5). Aber auch als Ökonom und als einer der wichtigsten Repräsentanten des italienischen neo-naturalismo (6) und Sensualismus, mit einem dokumentierten Interesse an der Philosophie Kants (7), darf Delfico Aufmerksamkeit beanspruchen.

Abb. 1:Melchiorre Delfico (1744-1835)

Die Absenz Delficos in der deutschen Forschung mag freilich unter anderem durch den Umstand bedingt sein, dass die 1901 bis 1904 in vier Bänden in seinem Geburtsort Teramo in den Abruzzen erschienene Ausgabe seiner Werke in Deutschland wohl nur an einer Stelle, nämlich in der Berliner Staatsbibliothek, verfügbar ist (8). Die 1806 entstandenen Pensieri su l'Istoria e sull'incertezza ed inutilità della medesima - ihr ursprünglicher Titel lautete: Esame della Storia, e dei suoi vantati pregi [Untersuchung der Geschichte und ihrer viel gepriesenen Vorzüge] (9) - erschienen 1808 (10) in erster Auflage in Forlì und 1809 und 1814 in Neapel in jeweils überarbeiteter Neuauflage. Die in der erwähnten Werkausgabe abgedruckte Fassung trägt zwar das Titelblatt der Erstausgabe Forlì 1808, basiert aber de facto auf den späteren Ausgaben (11).  Franco Venturi, der viele Zeitgenossen Delficos im secolo dei Lumi vor dem Vergessen-Werden bewahrt hat, hat darauf hingewiesen, dass sich im unveröffentlichten Nachlass Delficos noch zahlreiche Aufzeichnungen und Lektürenotizen finden, die die Entstehungsgeschichte der Pensieri su l'Istoria dokumentieren (12).

Vor Franco Venturis Edition von Auszügen aus Delficos Schriften, darunter auch einiger Seiten aus seinen Pensieri, in dem Band Riformatori napoletani, 1962 zuerst erschienen, einer Quellenanthologie, die von einem schönen biografischen Porträt Delficos begleitet wird, hatte Giovanni Gentile im ersten Band seiner Storia della filosofia italiana dal Genovesi al Galluppi in einem ausführlichen Kapitel an Delfico erinnert (13).  Ihm galt Delfico als "der getreueste Repräsentant des französischen Geistes des 18. Jahrhunderts" (14);  sein Urteil über Delficos Pensieri war ambivalent: "[...] so ist auch der Schluss dieses bizarren Buches materialistisch, eines Buches, das in seinem theoretischen Teil von so geringem Wert ist [...], das aber philosophiegeschichtlich bemerkenswert ist, und das nicht nur, was Italien betrifft" (15) Giovanni Gentiles teilweise harschem Urteil über Delfico als einen stark von den philosophes beeinflussten, epigonalen und radikal materialistischen Denker ist mittlerweile oft widersprochen worden.

Delficos Pensieri su l'Istoria, die von den Zeitgenossen durchaus beachtet und auch mehrfach widerlegt wurden, (16) sind gerade in den letzten Jahren von der italienischen Forschung mehrfach neu gewürdigt, sein vermeintlicher antistoricismo (17) französischer Provenienz ist differenzierter beurteilt und im zeitgenössischen italienischen Kontext verortet worden. Besonders entschieden hat sich Gabriele Carletti in einer 1996 erschienenen Monografie über Delfico gegen Gentiles Verurteilung der Pensieri als Ausdruck eines planen antistoricismo gewandt (18). Mittlerweile liegen mehrere neuere Beiträge über Delfico vor, der in jungen Jahren noch vom Geist Genovesis geprägt wurde und sich, wie etwa Vincenzo Ferrone gezeigt hat, als junger Mann in den freimaurerischen Kreisen des vorrevolutionären Neapel bewegte (19). Politikgeschichtlich hat man Delfico im Kontext des süditalienischen Reformismus und Rousseauismus situiert, so etwa Giulio Gentile, der sich dann auch dem späten Delfico und seinen Osservazioni sul Machiavelli [Betrachtungen über Machiavelli] zugewandt hat (29). Unter den einschlägigen Forschungsbeiträgen (21) ragt eine ausführliche Studie von Umberto Carpi aus dem Jahre 1992 heraus (22). Carpi, der ein Panorama der politischen Geschichtsphilosophie in Italien um 1800 präsentiert,  markiert den politisch-historischen Standort Delficos, sein Verhältnis zu bedeutenden süditalienischen Zeitgenossen wie Pagano und Galanti, und er diskutiert, neben zahlreichen französischen, auch die italienischen Quellen der Pensieri su l'Istoria und deren Stellenwert innerhalb des Gesamtwerks Delficos. Für Carpi sind historischer Pessimismus und geschichtstheoretischer Skeptizismus Delficos wesentlich miteinander verflochten. Im Gegensatz zu Carletti zögert Carpi auch nicht, von einem gewissermaßen erfahrungsgesättigten und erfahrungsmüden "geschichtsfeindlichen Pessimismus [pessimismo antistoricistico]" Delficos zu sprechen (23), der seine Sichtweise der storia im doppelten Wortsinne präge.

Was die Stellung von Delficos Pensieri su l'Istoria e sulla incertezza ed inutilità della medesima innerhalb seines Œuvres betrifft, so zeichnet sich schon in seinem Elogio del Marchese D. Francescantonio Grimaldi aus dem Jahre 1784 Skepsis gegenüber einer rein chronikalischen Geschichtsschreibung, der Faktenreihung einer histoire événementielle ab (24). Seine 1791 erschienenen Ricerche sul vero carattere della giurisprudenza romana e dei suoi cultori [Forschungen über den wahren Geist der römischen Jurisprudenz und ihrer Vertreter], "voll heftigem Hass gegen das Römische", wie Venturi anmerkt (25), setzen dem, was ihm als Mythos des römischen Rechts erscheint, mit eben jener Schärfe zu, mit der er im vierten Kapitel der Pensieri su l'Istoria mit der Geschichte und der Geschichtsschreibung der römischen Republik abrechnet. Auch findet der sog.  pessimismo antistoricistico der Pensieri in einigen Aphorismen der Delficina, einer Aphorismensammlung, die Delfico hinterlassen und in der er seine Grundüberzeugungen protokolliert hat, seinen Niederschlag (26).

Offensichtlich problematisch ist das Verhältnis seiner geschichtsskeptischen Pensieri su l'Istoria zu seinen kurz zuvor im Exil in San Marino entstandenen, 1804 zuerst erschienenen Memorie storiche della Repubblica di San Marino [Historische Erinnerungen an die Republik San Marino]. Behauptet er nämlich in den Pensieri, es sei unmöglich, zur Erkenntnis über geschichtliche Sachverhalte zu gelangen, und es sei unnütz, Geschichte zu schreiben, zu tradieren, so widerlegt er in seiner Geschichte der Republik San Marino praktisch seinen geschichtstheoretischen Skeptizismus ebenso wie er seinen vermeintlichen historischen Pessimismus durch die Geschichte San Marinos konterkariert, die gewissermaßen eine kleine republikanische Erfolgsgeschichte ist. In San Marino, wo Delfico in selbst gewähltem Exil zwischen 1799 und 1806 lebte, sei er, enttäuscht von der Politik und der großen Geschichte müde, auf einen "historischen Stoff " gestoßen, der, so schreibt Carpi (27), "unversehrt von den Bildern des Chaos" gewesen sei, und er habe dort zu einer Form von Geschichtsschreibung gefunden, in der sich das fragile Selbstverständnis des Genres in dieser Epoche spiegele: "Delficos Geschichtsschreibung ist, im Ganzen gesehen, nicht wirklich bedeutend. Doch in ihrer unlösbaren Spannung zwischen 'politischer Skepsis' und der Suche nach einer 'Form der bürgerlichen Vereinigung [...], die es bisher nur in Utopien gegeben hat', ist sie schließlich exemplarisch für jene Epoche 'allgemeiner Auflösung von Republiken und Imperien'. Sie ist vielleicht auch in ihren Schwächen beispielhaft, aber jedenfalls nicht beispielhaft unreflektiert."(28). In seinen Pensieri su l'Istoria, in denen Delfico u.a. gegen die gerade in Italien proliferierenden Regionalgeschichten zu Felde zieht, hat er seine der eigenen geschichtsskeptischen Theorie zuwiderlaufende historiografische Praxis in den Memorie storiche della Repubblica di San Marino mit folgenden Worten gerechtfertigt: "Wenn irgendjemand mich fragen würde, warum ich in diesem Genre, das ich missbillige, etwas geschrieben habe, so würde ich gleich antworten, dass die Einzigartigkeit des Gegenstandes eine Ausnahme davon bildete. Tatsächlich war eine winzige Republik wie die von San Marino, die über Jahrhunderte ihre politische Form und Unabhängigkeit gewahrt hatte, ein interessantes Phänomen für Gelehrte und Politiker; und niemand hatte die entsprechende Neugier bisher je befriedigt."(29) ( A 1)

Das Exil in San Marino war auf Grund der politischen Exterritorialität für Delfico eine ideale Freizone (30), in der er einerseits die Pensieri in ruhiger Abgeschiedenheit von den Zeitläuften schreiben und andererseits seine politische Skepsis und Geschichtsmüdigkeit überwinden konnte, indem er die erste und einzige umfassende Geschichte dieser politischen Enklave verfasste, der kleinen, aber langlebigen freien Republik San Marino, als deren stolzen Bürger ihn das Titelblatt der Erstausgabe seiner Pensieri su l'Istoria auswies. San Marino ist unbeschädigt von der Geschichte, "hat seine politische Gestalt unbeschädigt erhalten, [ha conservata illesa la sua forma politica]", ist eine Enklave in der aggressiven und zerstörerischen Welt der Geschichte. So darf und muss Geschichte in diesem Fall geschrieben werden, und so kann Geschichte in diesem Fall sogar noch einmal vorbildlich sein (31).

In den Pensieri su l'Istoria hingegen legt Delfico, dem man übrigens in diesen Jahren einen Lehrstuhl für Geschichte an der Universität Bologna antrug, den er aber ausschlug (32), in extenso dar, dass die storia ungewiss und ohne Nutzen sei:  Weder liefere sie taugliche moralische oder politische Vorbilder noch sei gesichertes historisches Wissen und dessen kritische Überlieferung in der Geschichtsschreibung möglich. Den geschichtsphilosophischen Argumentationsstrang seiner Pensieri aufgreifend, hat Delfico im Übrigen kurz vor seinem Tod noch einen geschichtsphilosophisch-vichianisch gefärbten Essay geschrieben, der aber nur in Teilen überliefert und bisher noch nicht ediert ist (33).

Im Anschluss an eine knappe Rekonstruktion der Einflüsse, denen Delficos Geschichtsdenken sich verdankt (III.), soll im Folgenden Delficos  Argumentation in groben Zügen zusammengefasst werden (IV.), soweit dies angesichts der Unübersichtlichkeit und der Aspektvielfalt des Argumentationsgangs möglich ist. Zwei Linien sind freilich deutlich durchgehalten: Zum einen tritt – die schon im Titel ausgewiesene Ungewissheit der Geschichte betreffend - die Linie unverkennbar hervor, die an den Historischen Pyrrhonismus des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts anschließt und Delfico gewissermaßen als späten Erben der maßgeblich von Carlo Borghero und Markus Völkel (34) beschriebenen Familie der Historischen Pyrrhoneer/Pyrrhonisten (35) erscheinen lässt. Zum anderen manifestiert sich seine schon im Titel artikulierte Überzeugung von der Nutzlosigkeit der Geschichte als Kritik an ihrer vermeintlichen politisch-juridisch-moralischen Instruktivität und situiert sich so in der von Reinhart Koselleck gezogenen Linie des sich im Verlaufe des 18. Jahrhunderts auflösenden Topos der Historia Magistra Vitae (36).

Die semantische Ambivalenz des Begriffes Storia als Vergangenheit und als Diskurs über die Vergangenheit durchzieht Delficos geschichtsskeptische Betrachtungen, die, so ist abschließend zu zeigen, die Möglichkeit einer Wissenschaft von der Geschichte/Geschichtsschreibung ausgerechnet auf der Grundlage der szientistischen Annahme unbegrenzten Fortschritts der Wissenschaften zu widerlegen suchen (V.). 

 

 

III.  Delfico und die Geschichtstheorien der europäischen Aufklärung

 

Delfico hat in einem Brief an seinen Bruder im Januar 1806 die Brisanz und die Originalität seiner Pensieri su l'Istoria betont: "Der Gegenstand ist geistreich und bisher von niemandem in Gänze behandelt worden. [L'argomento è piccante e non trattato ancora nella sua interezza da alcuno]."(37). Auch auf den ersten Seiten des Buches betont er Originalität und Selbstständigkeit seines Projekts, das über eine Synthese des überlieferten Historischen Skeptizismus hinausgehe: "Ich will mich aber nicht der absoluten Neuartigkeit solcher Betrachtungen über das geringe Verdienst der Geschichte rühmen und so tun, als habe niemand sonst dies je gesehen. Meine Betrachtungen sind tatsächlich spontan und durch Überlegung in mir entstanden, aber Zweifel über die Wichtigkeit und Wahrheit der Geschichte kamen schon bei den Alten wie auch bei den Modernen auf. Deren Reflexionen aber waren ephemer, okkasionell, begrenzt und bezogen sich immer auf einen speziellen Gegenstand, statt das Thema in seiner Allgemeinheit zu umfassen, und so blieben ihre Gedanken unbeachtet und das Vorurteil wurde um so mehr bestätigt."(38) (A 2).

Was seine Quellen betrifft, so hat, wie bereits erwähnt, schon Giovanni Gentile die Dominanz französischer Einflüsse betont (39) und eine Reihe von französischen Quellen identifiziert. Auch Venturi geht, mit Blick auf Delficos Moral-, Sozial- und Geschichtsphilosophie insgesamt, von der starken Prägung durch die philosophes aus, deren Denken Delfico, so gibt Venturi zu bedenken, radikal vereinseitigt habe (40). Dieser Kautele Venturis ist beizupflichten, und in diesem Zusammenhang ist auch unumwunden festzustellen, dass Delficos Überlegungen zur Geschichte unter dem Niveau der von Chantal Grell und Bertrand Binoche (41) untersuchten geschichtstheoretischen und geschichtsphilosophischen Reflexion des französischen siècle des Lumières bleiben wie sie auch nicht mehr die Schärfe und intellektuelle Brillanz des von Borghero und Völkel untersuchten Historischen Pyrrhonismus des 17. und 18. Jahrhunderts besitzen.

Folgende Quellen Delficos sind vorrangig anzuführen: Die wohl wichtigste Anregung verdankte Delfico Volneys Leçons d'histoire prononcées à l'École normale en l'an III de la République française (42), einer Schrift, der er attestiert, den 'analytischen Geist [spirito di analisi]' in der Geschichtstheorie zur Geltung gebracht zu haben (43), und die er verschiedentlich zitiert (44). Volney hatte den Historischen Pyrrhonismus zwar in seine Reflexionen einbezogen, sich ihm aber nicht angeschlossen. Der Hauptakzent seiner Vorlesungen hatte auf der Frage nach dem Nutzen der Geschichte gelegen, und Volney hatte diesen bestätigt, indem er die Geschichte als Faktor politischer Erziehung ansetzte.

Durchaus auch kritisch setzt Delfico sich auseinander mit Condorcets kurz vor Volneys Vorlesungen und gleichfalls unter dem unmittelbaren Eindruck der revolutionären Ereignisse entstandener Esquisse d'un tableau historique des progrès de l'esprit humain (45), aus der er eine Passage ins Italienische übersetzt. Condorcets naturwissenschaftlich geprägte spätaufklärerische Fortschrittsvision bildet eine wichtige Argumentationsvorgabe Delficos; seine Skepsis gegenüber der Wissenschaftlichkeit der Geschichte bleibt freilich unbeeindruckt vom positivistisch-optimistischen Geschichtsverständnis Condorcets (46). Darüber hinaus bezieht Delfico sich kritisch auf Voltaire, und zwar dessen Philosophie de l'histoire (47); unerwähnt bleibt dessen Schrift Le pyrrhonisme de l'histoire (1768). Unverkennbar, aber nicht explizit ist die Präsenz Bayles, der für den Gesamtzusammenhang der Selbstbegründung der Geschichte von enormer Bedeutung und in Italien im 18. Jahrhundert allgegenwärtig ist. Zudem mag Delfico auf französischer Seite Anregungen empfangen haben von Fontenelle, der 1720 Sur l'histoire veröffentlicht hatte, Nicolas Fréret (Réflexions sur l'étude des anciennes histoires et sur le degré de certitude de leurs preuves, 1724), D'Alembert und seinen Réflexions sur l'histoire et sur les différentes manières de l'écrire (48) sowie Mablys Schriften De l'étude de l'histoire und De la manière d'écrire l'histoire (49) aus dem Jahre 1775/83. Belegen lassen sich diese denkbaren Einflüsse im Einzelnen freilich nicht. Gegenstand ausdrücklicher Kritik ist die Wissenschaftsgeschichtsschreibung von Antoine-Yves Goguet wie die von Juan Andrés (50). Unverkennbar ist die Reprise Rousseauscher Kritik an der moralischen Instruktivität der Geschichte im vierten Buch des Émile (51). Überraschend ist Delficos marginale, aber affirmative Bezugnahme auf Bossuets Discours sur l'histoire universelle, der am Schluss des langen destruktiven Unternehmens wie zufällig als Wegweiser aus dem Trümmerfeld der Geschichte herausragt (52).

Philosophisch ist Delfico vom Lockeschen Empirismus, insbesondere aber dem Condillacschen Sensualismus stark beeinflusst worden, und in späteren Jahren sollte er dann auch in Kontakt zu den Idéologues treten, speziell zu Destutt de Tracy, mit dem er 1816 korrespondierte (53).

Was Delficos italienische Quellen betrifft, die die neuere italienische Forschung ermittelt bzw. diskutiert hat, so sind neben Vico (54) Pagano (55) und Galanti (56) zu nennen, allerdings unabhängig von einschlägigen geschichtsskeptischen Aspekten. Diesbezüglich beruft Delfico sich hingegen ausdrücklich auf Girolamo Tiraboschi, dessen ursprünglich 1780 als Rede konzipierte Betrachtung  Sull'autorità degli storici contemporanei [Über die Autorität der zeitgenössischen Historiker] er in seinem Text ganz wiedergibt (57). Tiraboschi hatte sich hier sehr kritisch über die Geschichtsschreibung des eigenen Zeitalters geäußert, das sich als Aufklärungszeitalter verstanden wissen wolle, aber eine miserable und parteiische Geschichtsschreibung hervorgebracht habe (58); zugleich hatte Tiraboschi aber auch einem ‚gefährlichen allgemeinen Pyrrhonismus [pericoloso universale pirronismo]' eine klare Absage erteilt. Von den weiteren italienischen Quellen, die von der Forschung genannt werden, u. a. auch einschlägige Schriften von  Bettinelli und Bertola (59), ist eine - schwer zugängliche - Schrift des Jakobiners Girolamo Bocalosi mit dem Titel Dell'inutilità della storia [Über die Nutzlosigkeit der Geschichte], die 1795 erschien und die Delfico nachweislich besaß (60), hervorzuheben. Gianmaria Ortes' in den 1750er Jahren entstandener Calcolo sopra la verità dell'istoria [Historisches Wahrheitskalkül], "ein ultrapyrrhonistisches Traktätchen [trattatello ultrapirronistico]", wurde hingegen erst 1815 gedruckt und kommt daher als Quelle Delficos wohl nicht in Frage (61).

Unter den englischen Quellen Delficos ist es vor allen Bolingbroke, dessen Letters on the Study and Use of History aus dem Jahre 1735, zuerst erschienen 1752, er zitiert und diskutiert (62). Ob Delfico auch deutsche bzw. ursprünglich deutschsprachige  Abhandlungen zur Theorie und Methodologie der Geschichte zur Kenntnis genommen hat, die er möglicherweise in französischen Übersetzungen oder in einer lateinischen Fassung gelesen haben könnte, lässt sich nicht ohne Weiteres klären; jedenfalls finden sich in seiner Bibliothek weder Werke von Iselin noch von Chladenius oder Gatterer.

Die epistemologischen und methodologischen Betrachtungen über die Geschichte, die Delfico in seinen Pensieri su l'Istoria entwickelt, rekurrieren, so ist an dieser Stelle zunächst zu bilanzieren, auf rezente französische und italienische Quellen - vor allem Volney, Condorcet, Tiraboschi, Bocalosi -, die sie aus der Perspektive eines  epigonalen Historischen Pyrrhonismus heraus deuten. Die beiden Auswege aus der pyrrhonistischen Sackgasse, die sich im Verlaufe des 18. Jahrhunderts eröffnet hatten: derjenige einer kritisch reflektierten historischen Gelehrsamkeit (63) und der einer konjekturalen und narrativen Historiografie, werden von Delfico blockiert.

 

 

IV. Pensieri su l'Istoria e sull'incertezza ed inutilità della medesima

 

Delfico stellt seinen Pensieri eine Widmung "An die Gelehrten und an die Naturwissenschaftler [Ai dotti e agli studiosi delle Scienze della Natura]" voran, er erwartet aber die ‚glücklichen Fortschritte der Menschheit [felici progressi della specie]' in erster Linie von den Naturwissenschaftlern. In der Privilegierung der Naturwissenschaften stimmt der Neo-Naturalist Delfico mit Volney und Condorcet überein. An ein Vorwort schließt sich ein erstes Kapitel an, das den Titel trägt: "Über den natürlichen Ursprung der Geschichte, ihre Fortschritte und ihren Missbrauch [Dell'origine naturale della storia e dei progressi ed abusi della medesima]", das zweite Kapitel ist betitelt "Über die Ungewissheit der Geschichte [Della storica incertezza]", das dritte "Über den mangelnden Nutzen der Geschichte und über die Vorurteile und den Schaden, die sich daraus ergeben [Della inutilità  della storia e dei pregiudizi e danni derivati dalla medesima]", das vierte soll die dargelegten Befunde an der Unzulänglichkeit der römischen Geschichte und Geschichtsschreibung bestätigen und gegen deren falsche Idealisierung angehen: "Bestätigung der dargelegten Prinzipien anhand von Beispielen aus der Geschichte der römischen Republik [Verificazione degli antecedenti principj con esempi tratti dalla storia della romana repubblica]". Es folgt eine Schlussbetrachtung, die der storia zumindest den Bereich der Zeitgeschichte reserviert, deren historiografische Erfassung Delfico für praktikabel und politisch nützlich hält (64).

Delfico lässt die Genese der Geschichte/Geschichtsschreibung als einer Bestandsaufnahme des Vergangenen mit einer Unbefangenheit Revue passieren, welche seiner These, die Geschichte/Geschichtsschreibung sei prinzipiell unzuverlässig und eine objektive historische Rekonstruktion unmöglich, deutlich zuwiderläuft. Die Geschichte entspricht, so argumentiert Delfico anthropologisch, einem menschlichen Grundbedürfnis. Der Mensch ist stets und immer schon Erzähler, ein Erzähler dessen, was ihm und seinesgleichen geschehen ist. Delfico deutet vage eine Frühgeschichte der geschichtlichen Überlieferung vor Einführung der Schrift an und zeigt hier deutlich seine sensualistische Prägung. Mündliche Überlieferung und frühe Erinnerungskultur waren gleichermaßen unzuverlässig. Von Anfang an haben 'Dichter-Historiker [storici poeti]' die geschichtliche Überlieferung fiktional modelliert, und die riskante Nähe historiografischen Erzählens zur Fiktionalität hat seither die Objektivität der storia ständig bedroht. Delfico greift mit der Feststellung der Vermengung von Historiografie, Narration und Fiktion einen Topos der skeptischen Geschichtsdebatten auf, der weit ins 17. Jahrhundert zurückreicht, dann wieder verstärkt die Spätaufklärung beschäftigt hatte und den wenig später die Poetik des historischen Romans und die französische Restaurationshistoriografie sachlich vertiefen sollten. Auch die Etablierung der Schriftkultur habe, so Delfico, die geschichtliche Überlieferung keineswegs zuverlässiger gemacht. Der kirchliche Einfluss auf die Geschichtsschreibung habe diese ebenso beeinträchtigt wie ihre politische Indienstnahme durch die Mächtigen. Die Professionalisierung der Geschichte habe ihr nicht genutzt, sondern geschadet, da sie mit Grammatica, Critica, Genealogía, ja sogar Astrologie kontaminiert worden sei. Auch habe die schon in der Antike begründete Rhetorisierung der Historiografie diese schließlich immer weiter von "der Geschichte [...] in ihrer Wirklichkeit [la Storia [...] nella sua realtà]" entfernt. Rhetorik, literarische Fiktion und psychologische Spekulation haben das Ethos des Historikers beschädigt, dem es nur darum zu tun sein müsste, "das, was war [quel che fu]" zu überliefern (65).  Der Buchdruck habe eine Flut von historischen Schriften ausgelöst und die Überproduktion von nutzlosen Genres wie Biografien und  Regionalgeschichten  gefördert. Die Geschichte des Altertums, "der es nichts Neues hinzuzufügen gibt [dove non vi sono novità d'aggiungere]", sei immer wieder umgeschrieben, mehr und mehr verfälscht worden. Die Gelehrsamkeit habe sich in Quisquilien verzettelt, und was die antiquarische Geschichtsschreibung als tesori und nuovi tesori hüte, sei nichts weiter als Geschichtsplunder (66).  Die historische Gelehrsamkeit, die Delfico zufolge ohnehin nie eine Existenzberechtigung besaß, da sie auf der falschen Annahme der Wahrheitsfähigkeit geschichtlicher Erkenntnis beruhte, wird von ihm, in schon deutlicher zeitlicher Distanz zum Niedergang des frühaufklärerischen Gelehrsamkeitsideals, wie es sich in Italien mustergültig in Muratori verkörpert hatte, und in Übereinstimmung mit der Absage der philosophes an alle Formen bloßer Erudition (67) noch einmal verabschiedet, mit Ausnahme der Acta eruditorum (68).

Keines der historiografischen Verfahren, keines der Geschichtsmodelle, keine der Theorien historischer Erkenntnis, die Delfico nennt und gegeneinander ausspielt, sind geeignet, die Storia zu retten (69), sie gewissermaßen in den sicheren Gang einer Wissenschaft zu bringen und sie, gleichberechtigt neben den Naturwissenschaften, am großen Fortschrittsprojekt zu beteiligen: "die Geschichte ist immer so geblieben, wie sie war, ohne sich zu verbessern oder zu einem faktischen und realen Fortschritt der Wissenschaften beizutragen. [la Storia è rimasta qual'era, senza aver migliorato se stessa, o contribuito ad alcun positivo e reale avanzamento delle scienze]"(70). In Auseinandersetzung mit und Abgrenzung gegen Condorcet betont Delfico die Unmöglichkeit, die Geschichtswissenschaft am experimentellen Paradigma der Naturwissenschaften auszurichten: Weder Beobachtung noch Experiment können als Methoden in der Geschichtswissenschaft eingesetzt werden, und diese hat es, statt mit experimentellen Daten (71), mit undefinierbaren und kaum isolierbaren "Fakten vergangener Zeiten [fatti dei tempi andati]"(72) zu tun. Delfico, Anhänger des in Frankreich von Turgot bis Condorcet propagierten Fortschrittsparadigmas und eines zeitspezifischen Szientismus, klammert unter Rekurs auf Argumente des Historischen Pyrrhonismus die Geschichte aus dem unendlichen Progress menschlichen Wissens  aus.

Wenn die Geschichte sich nie hat zur Wissenschaft hat objektivieren lassen (73), wenn sie auch als philosophie de l'histoire und als Wissenschaftsgeschichte (74) gescheitert ist, so beruht diese in all ihren historischen Erscheinungsformen und methodologischen Konfigurationen zutage tretende fundamentale Unzulänglichkeit auf ihrem labilen epistemologischen Status, wie im zweiten Kapitel unter der Überschrift "Über die Ungewissheit der Geschichte [Della storica incertezza]" dargelegt wird. Zwar weist Delfico den Verdacht von sich, dem "storico pirronismo" das Wort reden zu wollen: "Es ist gewiss nicht meine Absicht, den Historischen Pyrrhonismus zu fördern [Non è già mio intendimento al certo il promuovere lo storico pirronismo]"(75). Doch macht er - an die einschlägigen Debatten über Überlieferungsrisiken und Verifikationsmöglichkeiten anknüpfend - Autopsie, persönliche sinnliche Vergewisserung zum Kriterium für Gewissheit und Objektivität, nur als Augenzeugenbericht ist die Geschichte vollständig legitimiert. Darüber hinaus gibt es für ihn kein[e] "positives Charakteristikum [positiva caratteristica]", kein "Kriterium der historischen Wahrheit [criterio della verità storica]"(76),  was freilich die wesenhaft leichtgläubigen Menschen - ein Fontenellesches Motiv - nie daran gehindert habe, der Geschichte vorbehaltlos Glauben zu schenken. Entgegen der eigenen Beteuerung, keinesfalls dem Historischen Pyrrhonismus das Wort reden zu wollen, schließt Delfico durchaus genau hier an: an der durch die nachcartesische bzw. nachcartesianische  Legitimationskrise der historischen Wissenschaften ausgelösten Debatte über die Wahrheitsfähigkeit und Wissenschaftsförmigkeit der Geschichte, die freilich in Italien im Zeichen Vicos und Muratoris, der 1745 eine Schrift gegen den Historischen Pyrrhonismus und Huet gerichtet hatte, wohl kein deutliches Profil hatte gewinnen können (77). 

Über Möglichkeiten der Vergewisserung räsonierend, rekurriert Delfico auf Vorschläge, die seit Arnauld, Leibniz und Anderen diskutiert worden waren: Rationalisieren und objektivieren lasse sich die historische Forschung, indem man Grade der historischen Wahrscheinlichkeit definiere (78). Damit erinnert  Delfico an eine Debatte, die Grade der probabilitas historica zu unterscheiden versucht hatte, er nennt aber keine Namen, weder Leibniz noch Nicolas Fréret noch Volney; Carletti zufolge hat Delfico im Übrigen ein Manuskript zum Verhältnis von  Gewissheit [certezza] und historischer Wahrscheinlichkeit [probabilità storica] hinterlassen (79).

"Es ist gewiss nicht etwa meine Absicht, den Historischen Pyrrhonismus zu befördern. Da man aber die Geschichte als magistra vitae und Klugheitslehre hat betrachten wollen, war es nur zu gerecht, darauf hinzuweisen, wie unzuverlässig und trügerisch ihre Lehren wesensgemäß sein können und dass man deshalb und auch aus anderen Gründen keinen wahren Nutzen aus ihr ableiten kann."(80) (A 8) Nicht nur deshalb, weil die Geschichte auf Grund ihres labilen epistemologischen Status nicht in den sicheren Gang einer Wissenschaft zu bringen ist, weil historisches Wissen ungesichert, rhetorisch überformt, fiktional kontaminiert ist, ist der Nutzen der Geschichte zu bestreiten. Der Topos der Historia Magistra Vitae (81) habe schon lange der erfahrungsbedingten Erkenntnis weichen müssen, dass die Storia eine "sehr alte und sehr schlechte Lehrerin [antichissima ed inefficacissima maestra]" (82) ist. Zwar zeige sich in den Wechselfällen der Geschichte "Einförmigkeit der menschlichen Gattung [l'uniforme organizzazione della specie]", und das ist ja, wie Reinhart Koselleck gezeigt hat, die Voraussetzung für die Plausibilität des Topos, für die Modellhaftigkeit der Geschichte (83). Aber die Geschichte bleibt doch das Reich des Kontingenten und des Einzelnen, aus dem sich, wie schon Guicciardini unterstrichen hatte (84), keine Normen und Handlungsregeln ableiten lassen. Moral, die "wahre Wissenschaft vom  Menschen [vera scienza dell'uomo]", ist rational und apriorisch: "Die Geschichte beschäftigt sich also mit Tatsachen, die weder direkt noch indirekt  Normen menschlicher Handlungen schaffen können. [La storia dunque si occupa di fatti i quali nè direttamente nè indirettamente possono costituire le norme delle azioni umane]." (85). Ablesen lassen sich aus der Geschichte, dieser unbeteiligten Erzählung des Schrecklichen (86), nur Kriege, Verheerungen und Laster, so Delfico in Übereinstimmung u.a. mit Rousseau, der dieses Argument gegen den Topos stark gemacht hatte. Die Geschichte als Schlachtfeld, als Folge von Kriegen und Verwüstungen, erfordere rationale Ursachenforschung. Statt sie vergeblich auf moralische und politische Vorbilder zu durchmustern (87), möge man sich auf das Naturrecht besinnen, um Moral und Politik, "die für den Menschen wichtigsten Wissenschaften [le scienze le più importanti per l'uomo]" (88), auf ein rationales Fundament zu stellen. Auf historische Exempla könne die Moral im Übrigen durchaus verzichten: Das moralisch Schöne, das Rechte besitze rationale Evidenz (89).

Volney, der die Geschichtstheorie wie kein anderer vorangebracht habe, habe geirrt, als er die politische Instruktivität der Geschichte behauptet habe (90). Seine Stilisierung der Politik zu "sublimer Geschichtsmathematik [le matematiche sublimi della storia]" sei unsinnig (91). Unter keinem denkbaren Aspekt ließ sich der Geschichte ein Nutzen abgewinnen. Die politische Funktionalisierung der Geschichte während der Revolutionsjahre hatte deren Korruptibilität ad nauseam demonstriert.

 

 

V. Geschichte, Geschichtswissenschaft, Fortschritt

 

Delfico hat am Rande auch die Semantik des Begriffs la Storia angesprochen und dessen Polyvalenz betont (92). Die  Äquivokation von Storia im Sinne dessen, was geschehen ist, und des Berichts oder Wissens darüber, Äquivokation von Storia als Ereignis und Erzählung oder als histoire einerseits und andererseits als Diskurs, Narration oder histoire historienne, um einen terminologischen Vorschlag von Bertrand Binoche aufzugreifen, ist Delfico an vielen Stellen seiner Schrift als Metabasis unterlaufen; Umberto Carpi hat diesen Programmierungsfehler in Delficos Schrift angedeutet: "Nicht immer unterscheidet Delfico deutlich zwischen Geschichte und Historiografie", doch hat er unverzüglich Entwarnung gegeben: "und das ist auch verständlich", so fährt er fort (93). Delficos pessimistische Sicht der Geschichte und seine Skepsis gegenüber der Möglichkeit der Erkenntnis von Geschichte seien so eng miteinander verflochten, dass die Stringenz der Argumentation durch die changierende Begriffsverwendung nicht beeinträchtigt werde.

Reinhart Koselleck hat mit Blick auf die deutsche Begriffsentwicklung gleichermaßen eingelenkt und die Äquivokation des Begriffs Geschichte - das  Sonderproblem Historie und im Italienischen Istoria muss an dieser Stelle ausgeklammert werden (94) - in eine geschichtstheoretische Konvergenzfigur überführt: "Zwar meinte - seit langem schon - die Geschichte auch den Bericht mit, wie umgekehrt Historie auch das Ergebnis selber anzeigt. Das eine färbte das andere ein. Aber durch diese gegenseitige Verschränkung, die Niebuhr vergeblich rückgängig machen wollte, bildete sich im Deutschen ein eigentümlicher Schwerpunkt heraus [...]. <Geschichte>  als Handlungszusammenhang ging in dessen Erkenntnis auf. Die Droysensche Formel, daß Geschichte nur das Wissen ihrer sei, ist das Ergebnis dieser Entwicklung."(95).

Delfico hatte geschrieben: "Die Geschichte lässt sich also betrachten als jener Teil des menschlichen Wissens, der beständig voranschreitet, aber sich niemals verbessert. Sie folgt dem jährlichen Lauf der Sonne und zeigt uns nur unter immer neuen Namen Wiederholungen des Altbekannten." (96) (A 12). Hier scheint Delfico Storia im Sinne von histoire historienne zu verwenden, und er behauptet, diese schreite beständig weiter, schreibe sich gewissermaßen ständig fort, entsprechend der simplen Akkumulation von historischer Erfahrung - aber als Wissen und als Wissenschaft verbessere sie sich nicht. Sie zeige Geschichte als ewige Wiederkehr des Immergleichen. Was in der Geschichte, der histoire, geschah und geschieht, ist - dies läuft den durchaus vorhandenen melioristischen Komponenten von Delficos Geschichtsbild offenkundig zuwider - das Immergleiche, "die kontinuierliche oder sukzessive Wiederholung derselben Dinge und Handlungen unter unterschiedlichen Namen und zu unterschiedlichen Zeiten [la ripetizione continua o successiva delle stesse cose  ed azioni sotto nomi e tempi diversi]" (97). Die histoire historienne aber wäre genau dies, wenn sie die um ihre progressiven Tendenzen gekürzte histoire getreu wiedergäbe.

Delficos Geschichtskonzeption ist, so ist zu bilanzieren, einerseits optimistisch, andererseits pessimistisch, sie ist zutiefst widersprüchlich. Konstitutives Element seiner optimistischen Geschichtssicht und Fortschrittstheorie ist ein umfassender Szientismus, der am naturwissenschaftlichen Paradigma ausgerichtet ist. In scharfem Gegensatz zu diesem Szientismus steht sein Historischer Pyrrhonismus, der die Möglichkeit einer Wissenschaft von der Geschichte rigoros bestreitet. Die histoire historienne müsste (auch) Fortschrittsgeschichte sein (98) und hat hier versagt. Sie müsste speziell die Fortschritte der Wissenschaften als Wissenschaftsgeschichte registrieren, und auch in dieser Funktion hat sie versagt (99). Sie konnte und kann sich aus prinzipiellen, erkenntnistheoretisch einleuchtenden Gründen nicht als Wissenschaft konstituieren und a forteriori nicht am allgemeinen Fortschritt der Wissenschaften partizipieren (100).

In der Geschichtsbetrachtung verliere man sich, so hat - nicht als Erster und nicht als Letzter - Delfico geschrieben, gerade so wie in der Betrachtung des endlosen Spiels der Wellen (101).  Der Blick auf die gleichförmige Oberfläche des Meeres aber lehrt den Skeptiker – so schon Timon von Phleius und Sextus Empiricus – Ataraxie.                                                          

                                                                                                          Gisela Schlüter, Erlangen 

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Anhang

(A 1) Che se taluno mi domandasse, perché dunque io abbia scritto in questo genere che disapprovo? Rispondo parimente, che la singolarità del soggetto ne faceva un'eccezione. Infatti una piccolissima Repubblica qual'è quella di S. Marino, che per secoli aveva conservata illesa la sua forma politica e l'indipendenza, era un fenomeno interessante la curiosità de' dotti e de' politici; e niuno finora l'aveva sottisfatta. Pensieri, 41

(A 2) Non voglio però darmi il vanto dell'assoluta novità di tali osservazioni intorno al poco merito della Storia, e quasi non fossero travedute giammai da altri. Sono nate, è vero spontaneamente, e per riflessione nell'animo mio, ma ben de' dubbj su l'importanza e la verità della Storia nacquero pure presso gli antichi come presso i moderni. Le loro riflessioni però essendo state passeggiere, occasionali, limitate, e relative a qualche argomento, senz'aver compreso il soggetto nella sua generalità, i loro pensieri rimasero negletti e 'l pregiudizio maggiormente confermato. Pensieri, 14f.

(A 3) Niuno, per quanto io conosca, ha finora portato lo spirito di analisi su la istoria meglio di Volney. Nelle sue poche lezioni e quasi estemporanee fatte per le scuole normali egli sviluppò le più importanti considerazioni su la storia, veggendola per quello ch'essa è; e dovrebb'essere in tutto diversamente trattata. In quanto all'utilità della medesima però par che rimanessero incerte le di lui idee ed indeterminate giacché dopo aver indicato l'inutilità, ed i danni dalla storia prodotti con le più solide ragioni; la prevenzione o l'immaginazione gli fece guardar l'oggetto differentemente per rapporto alla politica." Pensieri, 109f.

(A 4) Guerre, conquiste, rivoluzioni, successioni e cangiamenti di dinastie, pestilenze, carestie, terremoti, violenze, oppressioni e disastri di ogni specie formano il principal fondo della storia; mentre le leggi giuste, i progressi veri dello spirito, gli atti di virtù e di beneficenza s'incontrano assai rari. [...] La storia dunque si occupa di fatti i quali nè direttamente nè indirettamente possono costituire le norme delle azioni umane. Pensieri, 84

(A 5) Così io temo, che se per disgrazia molti libri comparsi qua e là su la storia ne' nostri tempi, avessero una lunga vita, i nostri discendenti avrebbero l'occasione di formarsi un'idea poco favorevole de' nostri studj, e domandare come in un secolo che sembra quello de' nuovi metodi, se ne sia introdotto uno così meschino per la storia. Tiraboschi, zit. in Pensieri, 71f.

(A 6)[...] basta quella che si può chiamare storia del tempo o del secolo in cui viviamo. Se la vanità istorica non si contenta di questi limiti per la vantata utilità, parmi che la ragione non possa accordarlene di più estesi. Pensieri, 116

(A 7) Fu per tali condizioni difettose, che riuscirono tutti vani i metodi per la Storia, il genealogico, il cronologico, il drammatico, il geografico, il progressivo, il retrogrado, l'analitico, il sintetico, il generale, il particolare, tutti furono tentati, e la Storia rimase nella sua natìa nullità ed imperfezione. La Storia quindi presentò una vera immagine del Caos; il favoloso, l'incerto, il probabile tutti confusi in un ammasso, resero inutili i criterj del vero; e la credibilità si graduò meno sulla natura de' fatti, che su i gradi dell'intelligenza degl'individui. Pensieri, 33f.

(A 8) Non è già mio intendimento al certo il promuovere lo storico pirronismo, ma poichè si è voluto riguardar la storia come maestra della vita e dettatrice della sapienza, era ben giusto il far avvertire, come il di lei magistero può essere infido e fallace per la sua indole medesima, per cui, e per altre ragioni non può neppure derivarne alcuna vera utilità. Pensieri, 65

(A 9) Per quanto la storia parla, dica, e racconti, non ci mostra su d'alcun punto della terrestre superficie nè l'uomo, nè la società quali possono essere: non veggiamo che esseri degradati, ed incertj desiderj, ed occulti sospiri per una migliore possibile condizione. Pensieri, 88

(A 10) [...]il bello morale o sia la verità e la virtù non può essere una copia, ma un felice trovamento della ragione. [...] Lasciamo dunque gli esempj ai poeti, agli oratori, ai pedanti, ed a tutti i professori in ciarlatanerìa; che la morale può farne a meno. Pensieri, 92

(A 11) Darci un saggio di quest'arte, mostrarcene la possibilità, manifestarci i sintomi e le indicazioni dei mali, indicarci con sicurezza la verificazione dei politici prognostici sopra una politica nosologìa, sarebbero state le prove opportune di quei vantati pregi dei quali l'autore ci vuol persuadere[...]. Pensieri, 111

(A 12) Si può considerare quindi la Storia, come quella parte dell'umano sapere, la quale progredisce sempre, e non si migliora mai. Essa cammina colle rivoluzioni annue del Sole, mostrandoci solo con nomi nuovi delle ripetizioni di fatti antichi. Pensieri, 34

(A 13) Questo appunto è avvenuto alla Storia, parola da tutti communemente pronunciata, rapportandovi però delle idee sì differenti nel numero, nel genere, e nelle qualità, che sotto lo stesso nome di Storia spesso vengono comprese idee disparatissime e contraddittorie, come per esempio le narrazioni vere e le favolose, l'errore, la menzogna e la verità. Pensieri, 32

(A 14) Volendo però formarsi un'idea più chiara della Storia, considerandola nella sua realtà, e ne' suoi veri termini, parmi, che sia costituita dai fatti degli uomini, e da un terzo il quale come testimone d'udito o di veduta agli altri li racconta. Sono dunque sempre i fatti della specie ripetuti in luoghi e tempi diversi; e siccome sottrattene le individuali differenze, e quelle nascenti da circostanze di località, le azioni degli uomini non sono altro che le espressioni della sua organizzazione o della sua natura; quindi la Storia non può essere che la ripetizione continua o successiva delle stesse cose ed azioni sotto nomi e tempi diversi. Tali fatti costituiscono sempre i veri elementi della Storia e tale sembrerà a chiunque voglia portarvi un attento sguardo esente dai pregiudizj. Pensieri, 34f.

(A 15) Infatti tutti gli altri rami dell'umano sapere hanno fatto de'progressi, rinunciando gli errori, migliorando i metodi, ed acquistando tutto giorno verità nuove [...]; e la Storia è rimasta qual era, senza aver migliorato se stessa, o contribuito ad alcun politico e reale avanzamento delle scienze." Pensieri, 35

(A 16) Lo spirito si compiace allora dello spettacolo di quelle fugaci succedentisi immagini [della storia], come nello stato d'inattività si diletta mirare il successivo moto delle volubili onde. Pensieri, 115

 

Abbildungsnachweis:

Abb. 1:  Porträt Melchiorre Delfico (1744-1835). Öl auf Leinwand. Gemälde eines unbekannter Maler des späten 18. Jahrhunderts, 55 x 70 cm (Privatbesitz).

 

(1) Chantal Grell: L'Histoire entre érudition et philosophie. Etude sur la connaissance historique à l'âge des Lumières. Paris 1993 (= Questions).

(2) Die These hat seit der Publikation der Arbeiten von Hayden White mehrfach Zustimmung gefunden, vgl. Hayden White: Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa. Dt. Übers. Peter Kohlhaas. Frankfurt/M. 1991, 69f.

(3) Ausnahme: Ivo Höllhuber: Geschichte der italienischen Philosophie von den Anfängen des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. München/Basel 1969, 31f.

(4) Delficos Nuove ricerche sul bello knüpfen an Alessandro Verris Schrift Del bello nell'arte an. Sie sind 1999 neu gedruckt worden, vgl. Melchiorre Delfico: Nuove ricerche sul bello. Pescara 1999. Zur sensualistisch geprägten Ästhetik Delficos vgl. Aldo Marroni: Maître à sentir. Melchiorre Delfico e il problema del bello. Chieti 2001.

(5) Einen Überblick über die politische Biografie Delficos gibt V. Clemente: Art. "Delfico, Melchiorre". In: Dizionario biografico degli Italiani 96  (1988), 527-539. Vgl. auch www.defilippis-delfico.it

(6) Der von Vincenzo Ferrone so genannte italienische neo-naturalismo nach 1800 schließt mit physiologisch-psychologischen Studien an Cabanis an; vgl.  Vincenzo Ferrone: I profeti dell'illuminismo. Le metamorfosi della ragione nel tardo Settecento italiano. Bari 1989, 254, 277.

(7) Vgl. dazu Franco Venturi: "Melchiorre Dèlfico". In: Riformatori napoletani. Hg. Franco Venturi. Mailand/ Neapel  1962 (Illuministi italiani, V), 1161-1266, hier: 1186, sowie Giovanni Gentile: "Melchiorre Dèlfico". In: Ders.: Storia della filosofia italiana dal Genovesi al Galluppi, sec. ed., con correzioni ed aggiunte. Bd. 1. Mailand  1930 (Opere di Giovanni Gentile, 3,1),  25-120, hier:  109 f. - Zu den Anfängen der italienischen Kant-Rezeption vgl. Gisela Schlüter: "Die Anfänge der italienischen Kant-Rezeption: Forschungsbilanz mit einem Exkurs zu Vincenzo Mantovanis Kant-Übersetzung (1820/22)". In: Deutschland und Italien. 300 Jahre kultureller Beziehungen. Hg.  Peter Ihring/Friedrich Wolfzettel. Berlin 2004 (= Themen der Italianistik), 64-93.

(8) Melchiorre Delfico: Opere complete. Nuova edizione. Hg. Giacinto Pannella/Luigi Savorini. 4 Bde. Teramo: Giovanni Fabbri Editore 1902-1905; Pensieri su l'Istoria in Bd. 2 (1903). StaBi Berlin, Signatur: Ai 8329. Die längeren Zitate aus dieser Schrift werden im Folgenden im fortlaufenden Text und im Fußnotenbereich in einer eigenen deutschen Übersetzung angeführt. Im Anhang des Beitrages finden sich die Belegstellen im italienischen Original; auf diesen dokumentarischen Anhang bezieht sich die fortlaufende Zitatnummerierung A 1ff. Die übrigen italienischen Zitate werden nur in (eigener) dt. Übersetzung angeführt.

Delficos Memorie storiche della Repubblica di San Marino finden sich in mehreren deutschen Bibliotheken. -Vgl. auch Delfico: Scritti inediti. Hg. Adelmo Marino. Chieti 1986, sowie eine aktuelle Ausgabe seiner Kurzprosa, Melchiorre Delfico: Aforismi - Massime, osservazioni, riflessioni. Hg. Paola Sorge. Einleitung Lucio Villari. Teramo 2006.

(9) Nach Gabriele Carletti: Melchiorre Delfico. Riforme politiche e riflessione teorica di un moderato meridionale. Pisa 1996, 151, Anm. 5.

(10) Giovanni Gentile zufolge sind die Pensieri schon 1806 in erster Auflage in Forlì erschienen, vgl. Gentile: "Melchiorre Dèlfico" (= Anm. 7), 34, Anm. 1.

(11) Nach Carletti: Melchiorre Delfico (= Anm. 9), 151, Anm. 5.

(12) Venturi: "Melchiorre Dèlfico" (= Anm. 7), 1185.

(13) Gentile: "Melchiorre Dèlfico" (= Anm. 7). Vgl. auch schon Gaetano Capone Braga: La filosofia francese e italiana del Settecento. Sec. edizione, Parte seconda II.  Padua 1942, Kap. 5: "Delfico", 1-33.

(14) Gentile: "Melchiorre Dèlfico" (= Anm. 7), 50.

(15) Ebd., 88.

(16) Zur Rezeptionsgeschichte der Pensieri vgl. u. a. Gentile: "Melchiorre Dèlfico" (= Anm. 7), 88f., sowie Carletti: Melchiorre Delfico (= Anm. 9), 151f. Erwähnenswert erscheint insbesondere eine beifällige Rezension aus der Feder Vincenzo Cuocos anlässlich des Erscheinen der Pensieri in dritter Auflage, vgl. Vincenzo Cuoco: "Il vero significato della cosí detta 'Inutilità della storia'." In: Ders.: Scritti vari. Hg. Nino Cortese/Fausto Nicolini. Teil 2: Periodo napoletano (1806-1815) e Carteggio. Bari 1924, 249-251.

(17) Ital. antistoricismo bedeutet in diesem Kontext: Geschichtsfeindlichkeit.

(18) Carletti: Melchiorre Delfico (= Anm. 9), 20, 158.

(19) Ferrone: I profeti […] (= Anm. 6), 312f.

(20) Giulio Gentile: La Repubblica virtuosa. Rousseau nel Settecento politico meridionale. Neapel 1989, 156-166.

(21) Neben den bisher genannten Forschungsbeiträgen sei auch hingewiesen auf Armando Di Nardo: Storia e scienza in Melchiorre Delfico. Chieti 1978, sowie Raffaello Franchini: "Delfico e la storia". In: Studi politici in onore di Luigi Firpo. Hg. Silvia Rota Ghibaudi/Franco Barcia. Bd. 2: Ricerche sui secoli XVII-XVIII. Mailand 1990, 857-870.

(22) Umberto Carpi: "Appunti su ideologia postrivoluzionaria e riflessione storiografica dopo il triennio  giacobino". In: Rivista italiana di Studi Napoleonici 29 (1992), n. 1-2,  41-128, 89ff. zu Delfico.

(23) Ebd., 93.

(24) Carletti: Melchiorre Delfico (= Anm. 9), 152f.

(25) Venturi: "Melchiorre Dèlfico" (= Anm. 7),  1177.

(26) Delfico: Delficina. In: Ders.: Opere complete, Bd. 4 (1905),  379-395, vgl. z.B. LXXXIII.

(27) Carpi: "Appunti […]" (= Anm. 22),  115.

(28) Ebd., 123.

(29) Delfico: Pensieri […] (= Anm. 8),  41.

(30) Carpi: "Appunti […]" (= Anm. 22),  90.

(31) Carletti: Melchiorre Delfico (= Anm. 9), 155.

(32) Clemente: "Delfico" (= Anm. 5), 534.

(33) Delfico: Saggio filosofico sulla storia del genere umano [Philosophischer Essay über die Geschichte des Menschengeschlechts], vgl. Di Nardo: Storia e scienza […] (= Anm. 21),  98, Anm. 48.

(34) Carlo Borghero: La certezza e la storia. Cartesianesimo, pirronismo e conoscenza storica. Mailand 1983, sowie ders.: Conoscenza e metodo della storia da Cartesio a Voltaire. Turin 1990. Vgl. auf italienischer Seite auch schon Sergio Bertelli: "La crisi dello scetticismo, e il rapporto erudizione-scienza agli inizi del secolo XVIII". In: Società XI (1955),  435-456. Auf deutscher Seite vgl. Markus Völkel: 'Pyrrhonismus historicus' und 'fides historica'. Die Entwicklung der deutschen historischen Methodologie unter dem Gesichtspunkt der historischen Skepsis. Frankfurt/M./Bern/N.Y. 1987.

(35) Grundlegend war in der Erforschung des Historischen Pyrrhonismus die Göttinger Dissertation von Meta  Scheele, die fünf Jahre vor Paul Hazards La Crise de la conscience européenne erschien, wo der Historische Pyrrhonismus gleichfalls thematisiert wurde, vgl. Meta Scheele: Wissen und Glaube in der Geschichtswissenschaft. Studien zum historischen Pyrrhonismus in Frankreich und Deutschland. Heidelberg 1930 (= Beiträge zur Philosophie 18). Zu diesem weitgehend in Vergessenheit geratenen Teil der Forschungsgeschichte vgl. meinen Beitrag „Die wahre Geschichte der Meta Scheele (1904-1942)" in diesem Heft.

(36) Reinhart Koselleck: "Historia Magistra Vitae: Über die Auflösung des Topos im Horizont neuzeitlich bewegter Geschichte". In: Ders.: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt/M. 1989,  38-86.

(37) Brief Delficos vom 5.1.1806 an seinen Bruder Giovanni Bernardino, zit. nach Venturi: "Melchiorre Dèlfico" (= Anm. 7),  1185.

(38) Delfico: Pensieri […] (= Anm. 8), 14f.

(39) Gentile: "Melchiorre Dèlfico" (= Anm. 7), 50.

(40) Venturi: "Melchiorre Dèlfico" (= Anm. 7),  1164.

(41) Vgl. Grell: L'Histoire […]  (= Anm. 1) sowie Bertrand Binoche : Les trois sources des philosophies de l'histoire (1764-1798). Paris 1994.

(42) Constantin-François Volney : Leçons d'histoire, prononcées à l'École normale en l'an III de la République française. Paris 1825 (Neuausgabe: La loi naturelle. Lçcons d'histoire. Hg. Jean Gaulmier. Paris 1980). Diese Vorlesungen standen unverkennbar unter dem Eindruck der Terreur. Wie Volney selbst bekundet, wurde er nach seiner Inhaftierung plötzlich an die Ecole normale berufen, um dort Vorlesungen zur Geschichte zu halten (vgl. ebd., 134, Anm. 1). Insbesondere der letzte Teil der Vorlesung ist stark politisch akzentuiert. - In Delficos Bibliothek befand sich eine spätere, 1810 erschienene Ausgabe von Volneys Geschichtsvorlesungen. Ein Teil der im Folgenden anzuführenden Quellen (Condorcet, Bocalosi) war Bestandteil der privaten Bibliothek Delficos, vgl. Adelmo Marino: "Biblioteca privata di Melchiorre Delfico". In: Delfico: Scritti inediti ( = Anm. 8), 153-187.

(43) "Soweit ich weiß, hat niemand bisher besser den analytischen Geist in die Geschichte eingebracht als Volney. [...]."   Delfico: Pensieri […] (= Anm. 8), 109f. (A 3)

(44) Die Vorbildfunktion dieser Schrift Volneys für Delfico hat schon Giovanni Gentile betont, vgl. Gentile: "Melchiorre Dèlfico" (= Anm. 7), 73ff. Vgl. auch Corrado Rosso : "De Volney à Melchiorre Delfico: L'histoire, une discipline aussi inutile que dangereuse". In: L'Héritage des lumières. Volney et les Idéologues. Hg. Jean Roussel. Angers 1988,  345-356.

(45) Delfico: Pensieri […] (= Anm. 8), 106ff.

(46) "Von der Epoche, da die alphabetische Schrift in Griechenland bekannt wurde, bis auf unsere Zeit, bis auf den gegenwärtigen Zustand des Menschengeschlechts in den aufgeklärtesten Ländern Europas reicht eine Folge von Tatsachen und Beobachtungen in ununterbrochener geschichtlicher Verbindung; und die Darstellung des Ganges und der Fortschritte des menschlichen Geistes ist damit wahrhaft historisch geworden. Nichts bleibt nun der Philosophie mehr zu ergänzen und zu erraten, sie braucht nicht länger hypothetische Kombinationen aufzustellen; es genügt, die Tatsachen zu sammeln und zu ordnen sowie die nützlichen Wahrheiten aufzuzeigen, die aus ihrer Verkettung und ihrer Gesamtheit hervorgehen." Marie-Jean-Antoine-Nicolas Caritat de Condorcet: Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes. Hg. Wilhelm Alff. Frankfurt/M. 1976, 36.

(47) Delfico: Pensieri […] (= Anm. 8), 15.

(48) Jean Lerond D'Alembert : "Réflexions sur l'histoire, et sur les différentes manières de l'écrire". In: Ders.: Œuvres complètes. Bd. 2, 1. Teil. Genf 1967, 1-10.

(49) Gabriel Bonnot Mably: De l'étude de l'histoire suivi de De la manière d'écrire l'histoire. Texte revu par Barbara de Negroni. Paris 1988 (Corpus des œuvres de philosophie en langue française). Erschienen als 16. Bd. des Cours d'études pour l'instruction du Prince de Parme, herausgegeben von Condillac, dem Bruder Mablys. De la manière d'écrire l'histoire erschien übrigens 1784 in dt. Übers. mit einer Vorrede von a. L.Schlözer in Straßburg.

(50) Vgl. Delfico :  Pensieri […] (= Anm. 8), 99; dazu Carletti: Melchiorre Delfico (= Anm. 9), 173.

(51) Vgl. dazu Giovanni Gentile: "Melchiorre Dèlfico" (= Anm. 7), 71, sowie Giulio Gentile: La repubblica […] (= Anm. 20). In Übereinstimmung mit Rousseau schreibt Delfico: "Kriege, Eroberungen, Revolutionen, Dynastien und Dynastiewechsel, Pest, Hungersnöte, Erdbeben, Gewalt, Unterdrückung und Unglück aller Art bilden die Substanz der Geschichte. Gerechte Gesetze, wahre Fortschritte des Geistes, tugendhafte und wohltätige Handlungen hingegen finden sich eher selten. [...] Die Geschichte beschäftigt sich also mit Fakten, die weder direkt noch indirekt Normen menschlichen Handelns bilden können." Delfico: Pensieri […] (= Anm. 8), 84 (A 4).

(52) Ebd., 173.

(53) Vgl. Gentile: "Melchiorre Dèlfico" (= Anm. 7), 37.

(54) Vgl. Delfico: Pensieri […] (= Anm. 8), 21, 39, 41. Zwar übernimmt Delfico einige vichianische Begriffe und Theoreme. Vicos gegen Descartes und den Cartesianismus gerichtete Privilegierung der Geschichte widerspricht aber Delficos Geschichtsbild. Trotz seiner Wertschätzung Vicos lehnt er dessen Geschichtsphilosophie und Providentialismus ab. Vgl. Carletti: Melchiorre Delfico (= Anm. 9), 35f.

(55) Vgl. Venturi : "Melchiorre Dèlfico" (= Anm. 7), 1166.

(56) Vgl. Carpi: "Appunti […]" (= Anm. 22), 92f..

(57) Delfico: Pensieri […] (= Anm. 8), 69-79. Ital. Fassung von: Girolamo Tiraboschi: Discours sur l'autorité des historiens contemporains, Rede, gehalten am 3.8. 1780 vor der Accademia dell'Arcadia,  vgl. Carletti: Melchiorre Delfico (= Anm. 9),  168, Anm. 61.

(58) "So fürchte ich, dass, wenn unglücklicherweise viele hier und da erschienene Bücher über unsere heutige Zeit eine lange Lebensdauer hätten, unsere Nachfahren Anlass hätten, eine wenig günstige Vorstellung von unseren Studien zu entwickeln und sich zu fragen, warum in einem Jahrhundert, das als eines neuer Methoden erscheint, sich in der Geschichte eine so klägliche Methode etabliert habe."  Tiraboschi, zit. nach Delfico: Pensieri […] (= Anm. 8), 71f. (A 5).

(59) Aurelio de' Biagi Bertola: Filosofia della storia (1787), dazu Carpi: "Appunti […]" (= Anm. 22), 44f.

(60) Carletti: Melchiorre Delfico (= Anm. 9), 170.  Carpi: "Appunti [...]" (= Anm. 22),  76ff.,  91, hat die Geschichtstraktate des politisch radikalen Bocalosi und des gemäßigten Delfico miteinander verglichen. Für Bocalosi ist die Geschichte einerseits nur nützlich, sofern sie radikale Volksaufklärung betreibt. Und nur als politische Geschichte, Wissenschaftsgeschichte und Technikgeschichte (im weiteren Sinne) ist sie legitim und sinnvoll – und, so heißt es ausdrücklich, auch als biblische Geschichte: "Ich nenne jene Form der Geschichte unnütz, die die Tatsachen und Ereignisse, die vor unserer Existenz stattgefunden haben, tradiert, mit Ausnahme der biblischen Geschichte, der Geschichte der bürgerlichen und politischen Verträge, der Geschichte der Wissenschaften und der der praktischen Disziplinen."  Girolamo Bocalosi: Dell'inutilità dell'istoria. Italia [!] 1795, 13; zit. nach dem in der Biblioteca di storia moderna e contemporanea in Rom vorhandenen Exemplar, collocazione 12a.547.

(61) Gianmaria Ortes: Calcolo sopra la verità dell'istoria e altri scritti. Hg. Bartolo Anglani, Einleitung von Italo Calvino/ Giampaolo Dossena, Genua 1984. Zitat Anglani, 31. Zu Ortes' Traktat  vgl. Carpi: "Appunti [...]" (= Anm. 22), 94  und Anm. 91.

(62) Dazu Carletti: Melchiorre Delfico (= Anm. 9), 171; zu Bolingbrokes Letters und seiner Auseinandersetzung mit dem Skeptizismus vgl. Borghero: La certezza […] (= Anm. 34), 417ff., und Andreas Urs Sommer: „Kritisch-moralische exempla-Historie im Zeitalter der Aufklärung: Viscount Bolingbroke als Geschichtsphilososoph". In: Saeculum. 53. Jg., 2. Halbband (2002), 269-310; hier: 301f.

(63) Vgl. Völkel: 'Pyrrhonismus historicus' [...] (= Anm. 34),  206.

(64) "[...]es genügt schon die sogenannte Zeitgeschichte oder Geschichte der Zeit, in der wir leben. Wenn die Eitelkeit der Historiker sich wegen des vermeintlichen Nutzens nicht mit diesen Grenzen abfindet, so kann ihnen meines Erachtens die Vernunft aber keine Erweiterung der Grenzen einräumen."  Delfico: Pensieri […] (= Anm. 8), 116 (A 6).

(65) Ebd., 31f., 34, 172.

(66) Ebd., 38, 172f.

(67) Vgl. Grell: L'Histoire […]  (= Anm. 2).

(68) Delfico: Pensieri […] (= Anm. 8), 100. In der Kritik an der historischen Erudition führt Delfico das topische Argument einer Überbeanspruchung des Gedächtnisses zu Lasten von Verstand und Imagination an.

(69) "Wegen dieser mangelhaften Bedingungen erwiesen sich all diese historischen Methoden als nichtig: die genealogische, chronologische, dramatische, geografische, die progressive, rückwärtsgewandte, analytische, synthetische, die allgemeine und die besondere – all diese Methoden probierte man aus, und die Geschichte verharrte in ihrer angeborenen Nichtigkeit und Unvollkommenheit. Die Geschichte bot also ein wahres Bild des Chaos. Das Märchenhafte, das Ungewisse und das Wahrscheinliche wurden vermischt und aufeinandergehäuft und machten die Wahrheitskriterien nutzlos; die Glaubwürdigkeit bemaß sich weniger nach der Art der Fakten als nach der Intelligenz der beteiligten Individuen."  Delfico: Pensieri […] (= Anm. 8), 33f. (A 7)

(70) Ebd., 35.- "Faktisch haben alle anderen Zweige des menschlichen Wissens Fortschritte gemacht, auf Irrtümer verzichtet, die Methoden verbessert und jeden Tag neue Wahrheiten ermittelt. [Infatti tutti gli altri rami dell'umano sapere hanno fatto de' progressi, rinunciando gli errori, migliorando i metodi, ed acquistando tutto giorno verità nuove]." Ebd.

(71) Wie bei Condorcet, klingt diese Vorstellung auch bei Volney an, "envisageant les faits eux-mêmes comme un cours d'expériences involontaires que le genre humain subit lui-même [...] ." Volney: Leçons d'histoire (= Anm. 42), 4.

(72) Delfico: Pensieri […] (= Anm. 8), 108. Es sei nicht einmal klar, was historische Fakten, "die Beschaffenheit der Fakten, denen man sich nähern sollte [le qualità di fatti intorno ai quali si doveva raggirare]", seien, ebd., 33. Volney hatte das historische Faktum umdefiniert und der historischen Erkenntnis entzogen: "Dans l'histoire, les faits n'existent plus; ils sont morts et l'on ne peut les ressusciter devant le spectateur, ni les confronter au témoin." Volney : Leçons d'histoire (= Anm. 42), 1.

(73) Auch Volney hatte der Geschichte die Wissenschaftlichkeit im engeren naturwissenschaftlichen Sinne abgesprochen, ihr allerdings gleichwohl, an die Debatte über die probabilitas historica anknüpfend, einen Ort im System menschlichen Wissens - neben der Medizin - eingeräumt: "Aussi persisté-je à regarder l'histoire, non point comme une science, parce que ce nom ne me paraît applicable qu'à des connaissances démontrables, telles que celles des mathématiques, de la physique, de la géographie, mais comme un art systématique de calculs qui ne sont que probables, tel qu'est l'art de la médecine." Volney: Leçons d'histoire (= Anm. 42), 84. 

(74) Das Scheitern der Geschichte als Wissenschaftsgeschichte erscheint Delfico als besonders gravierend - hätte die Geschichte doch, so argumentiert er szientistisch, gerade als fortschrittsorientierte Wissenschaftsgeschichte nützlich sein und zum Fortschritt beitragen können.  Vgl. Delfico: Pensieri […] (= Anm. 8), 98f., 174. Zur Fortüne der Wissenschaftshistoriografie merkt Lorraine Daston an: „Zwischen 1750 und 1840 kam eine Flut von Geschichten verschiedener Wissenschaften zur Veröffentlichung, und alle meinten, Vorhandensein und Ausmaß des Fortschritts in den jeweiligen Disziplinen zeigen zu können." Lorraine Daston: Wunder, Beweise und Tatsachen. Zur Geschichte der Rationalität. Frankfurt/M. 2. Aufl. 2003, 119.

(75) Delfico: Pensieri [...], 65.

(76) Ebd., 66.

(77) Vgl. Lodovico Antonio Muratori: Delle forze dell'intendimento umano, o sia il pirronismo confutato, trattato di Ludovico Muratori [...] opposto al libro del preteso Monsig. Huet, intorno alla debolezza dell'umano intendimento (1745); Teilabdruck in: Muratori: La filosofia morale e altri scritti etici inediti ed editi. Hg. Piero G. Nonis. Rom 1964, 1111-1128. Der katholische Geistliche Muratori bezweifelte - das geht schon aus dem Titel seiner Schrift hervor - die Autorschaft Huets (Traité philosophique de la foiblesse de l'esprit humain, geschrieben ca. 1690, erschienen nach dem Tod Huets 1723)  bzw. meinte diese bezweifeln zu müssen: War der radikale Skeptizismus des Bischofs Huet doch in katholischen und speziell jesuitischen Kreisen  so skandalös, dass man von interessierter Seite die These einer fälschlichen Zuschreibung des skeptizistischen Traktats an Huet zwecks Diskreditierung des Katholizismus lancierte, vgl. Richard Popkin: The History of Scepticism. From Savonarola to Bayle. Revised and expanded edition. Oxford 2003, 280. Gerade auch die historische Beschäftigung mit dem Historischen Pyrrhonismus gibt, so darf an dieser Stelle am Rande vermerkt werden, vielfach  Anlass, dessen Berechtigung historisch bestätigt zu finden.

(78) Delfico, Pensieri […] (= Anm. 8)., 49ff., 57.

(79) Carletti: Melchiorre Delfico (= Anm. 9), 163.

(80) Delfico: Pensieri […] (= Anm. 8), 65.

(81) Zur humanistischen Geschichte des Topos vgl. Rüdiger Landfester: Historia magistra vitae. Untersuchungen zur humanistischen Geschichtstheorie des 14. bis 16. Jahrhunderts. Genf 1972, sowie zur neueren Entwicklung Koselleck: "Historia Magistra Vitae" (= Anm. 36).

(82) Delfico: Pensieri […]" (= Anm. 8), 80f.

(83) Koselleck: "Historia Magistra Vitae" (= Anm. 36), 40, 56.

(84) Guicciardini wird erwähnt, vgl. Delfico: Pensieri […] (= Anm. 8), 94.

(85) Ebd., 84.

(86) Ebd., 105.

(87) "So sehr die Geschichte auch spricht und erzählt – sie zeigt uns auf  keinem Fleck der Erde den Menschen noch die Gesellschaft, wie sie sein könnten. Wir sehen nur entwürdigte Wesen, ungewisse Wünsche und verborgenes Sehnen nach möglichen besseren Bedingungen."  Ebd., 88 (A 9).

(88) Ebd., 115.

(89) "[...]moralische Schönheit oder Wahrheit und Tugend, diese können nicht simple Nachahmung, sondern nur ein Glücksfall der Vernunft sein. [...] Überlassen wir also die Exempel den Dichtern, Rednern, Pedanten und allen professoralen Scharlatanen. Die Moral kann nämlich darauf verzichten." Ebd., 92 (A 10). 

(90) Ebd., 109f. Vgl. Volney: Leçons d'histoire (= Anm. 42), 58ff., 84f. zum politischen Nutzen der Geschichte. Volney unterscheidet utilité morale, utilité scientifique und utilité politique der Geschichte, ebd., 47ff.

(91) Delfico zitiert Volney: " 'Es ist also eine hohe Kunst, die Geschichte aus dieser Perspektive zu studieren. Und wenn tatsächlich der daraus folgende Nutzen gewaltig ist, so ist die Kunst, von der er abhängt, von erhabenster Art, der transzendente Teil der Geschichte und, wenn ich so sagen darf, sublime Geschichtsmathematik." Und Delfico fährt fort: "Die geeigneten Beweise für jene vermeintlichen Vorzüge, von denen der Autor uns überzeugen will, hätten darin bestanden, uns eine Kostprobe dieser Kunst zu geben, uns ihre Möglichkeit zu demonstrieren, uns die Symptome und Krankheitszeichen zu demonstrieren und uns eine verlässliche Bestätigung politischer Prognosen aus einer politischen Krankheitslehre darzulegen." Delfico: Pensieri […] (= Anm. 8), 111 (A 11). Dieser Übergang vom mathematischen zum medizinischen Referenzmodell (vgl. Anm. 73) legt sich auch von Volneys entsprechender  Metaphorik her nahe: Geschichte als "la science physiologique des gouvernemens, parce qu'en effet elle apprend à connaître, par la comparaison des états passés, la marche des corps politiques, futurs et présens, les symptômes de leurs maladies, les indications de leur santé, les pronostics de leurs agitations et de leurs crises, enfin les remèdes que l'on y peut apporter." Volney : Leçeinerseits ons d'histoire,  zit. nach Carletti : Melchiorre Delfico (= Anm. 9), 170, Anm. 70.

(92) "Diese [Begriffsverwirrung, G. Sch.] ist der Geschichte zugestoßen. Geschichte ist ein Begriff, der von allen ganz selbstverständlich verwendet wird, und doch werden (der Zahl, der Gattung, der Qualität nach) so unterschiedliche Vorstellungen darauf bezogen, dass unter dem einen Begriff der Geschichte oft die disparatesten und widersprüchlichsten Ideen subsumiert werden, wie etwa wahre und märchenhafte Erzählungen, Irrtum, Lüge und Wahrheit." Delfico: Pensieri […] (= Anm. 8), 32 (A 13).

(93) Carpi: "Appunti [...]" (= Anm. 22), 91.

(94) Koselleck zufolge meinte das Fremdwort Historie "vornehmlich den Bericht, die Erzählung von Geschehenem", "speziell die historischen  Wissenschaften". Koselleck: "Historia Magistra Vitae" (= Anm. 36), 47. Dieses Fremdwort sei dann im Laufe des 18. Jahrhunderts zusehends von dem Wort Geschichte (in doppelter Bedeutung) verdrängt worden (ebd.).- Ob Istoria im Italienischen gleichfalls eher die Bedeutung von histoire historienne besaß, bliebe zu prüfen.

(95) Und er fährt fort: "Diese Konvergenz eines doppelten Sinnes veränderte selbstverständlich auch die Bedeutung einer Historie als vitae magistra." Ebd., 48.

(96) Delfico: Pensieri […] (= Anm. 8), 34.

(97) "Wenn man sich aber eine klarere Vorstellung von der Geschichte machen und sie realistisch und ihren Begriffen gemäß betrachten will, so scheint sie mir aus den Taten der Menschen zu bestehen und aus einem Dritten, der sie den Anderen als Ohren- oder Augenzeuge berichtet. Es handelt sich also immer um menschliche Taten, die sich an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten wiederholen.  Lässt man die individuellen  und die ortsbedingten Unterschiede beiseite, so sind die menschlichen Handlungen nichts weiter als Ausdruck der menschlichen Konstitution. Daher kann die Geschichte nichts anderes sein als die kontinuierliche oder sukzessive Wiederholung derselben Dinge und Handlungen unter unterschiedlichen Namen und zu unterschiedlichen Zeiten. Solche Fakten bilden also immer die wahren Elemente der Geschichte, und das wird jedem einleuchten, der einen aufmerksamen und vorurteilslosen Blick darauf richtet."  Ebd., 34f. (A 14)

(98) In den Delficina wird postuliert: "LXXXII. Die Geschichte muss aus der Folge von Tatsachen bestehen, die die Fortschritte der Menschheit aufzeigen. [La storia deve consistere nella serie dei fatti che dimostrano i progressi dell'umanità]." Delfico: Delficina (= Anm. 26), 379.

(99) Zum von Delfico konstatierten Scheitern der Wissenschaftsgeschichte vgl. oben, Anm. 74.

(100) "In der Tat haben alle anderen Zweige des menschlichen Wissens Fortschritte gemacht, sich von Irrtümern befreit, ihre Methoden verbessert und jeden Tag neue Wahrheiten erfasst [...]; die Geschichte ist immer so geblieben, wie sie war, ohne sich verbessert zu haben oder zu irgendeinem politischen oder sachlichen Fortschritt der Wissenschaften beizutragen ."  Delfico: Pensieri [...] (= Anm. 8), 35 (A 15).

(101) "Der Geist gefällt sich dann [im Alter und im Müßiggang, G. Sch.] in der Betrachtung jener flüchtig aufeinander folgenden Bilder der Geschichte, wie man sich im Zustand des Müßiggangs gern der Betrachtung der fließenden Bewegung der unbeständigen Wellen hingibt."  Ebd., 115 (A 16).

Das Achtzehnte Jahrhundert